Printmagazin | Freitag, 01. November 24

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Am Rande des Neuburger Waldes entsteht dieser Gebäudekomplex mit Parkplatz. Eine versiegelte Fläche von sieben Hektar, zwölfmal so groß wie der Domplatz. (Grafik: Staatliches Bauamt)
Königschalding

Megaknast am Waldesrand

Beitrag erschienen in Bürgerblick Nr. 159 Oktober 2022

Zur Grundsteinlegung kommt Ministerpräsident Söder. In Passau wird die erste deutsche Gefängnisanlage gebaut, die Strafhaft und Abschiebung zugleich bedient. Das Projekt belastet Steuerzahler, Anwohner und Natur. Wurde es 2016 angesichts der Flüchtlingskrise überdimensioniert?

Bis zu 200-mal am Tag pendeln seit März schwere Muldenkipper auf einer 20 Kilometer langen Strecke zwischen dem Passauer Stadtteil Rittsteig und Salzweg jenseits der Donau. Sie transportieren den Erdaushub, der Platz für den Bau der neuen Gefängnisanlage an der Königschaldinger Straße schafft. Ein gigantisches Unterfangen: 180.000 Kubikmeter werden in eine Kiesgrube der Oberlandgemeinde verfrachtet, weitere 70.000 Kubikmeter landen in einem Zwischenlager neben der Großbaustelle. Baugrube und Lagerplatz breiten sich über eine Fläche von zwölf Hektar aus, das entspricht der Größe des Pentagons, der fünfeckige Hauptsitz des US-Verteidigungsministeriums. Dem Megaknast weichen mussten Wiesen und Ackerland, ein Bauernhof und ein Dammhirschgehege.

An einem sonnigen Freitagnachmittag Ende September besucht das BB-Reporterteam den Schauplatz, um Stimmen von betroffenen Anwohner zu sammeln. Südlich von der geplanten Gefängnisanlage liegt ein kleines Gehöft. „Was sagen Sie dazu, was da in ihrer Nachbarschaft gebaut wird?“ Der Landwirt, der mit einem blauen Bagger gerade seinen Komposthaufen ausschaufelt, überlegt kurz, ob er etwas sagen soll. Er verzieht seine Mundwinkel zu einem gequälten Lächeln und meint: „Wenn ihr die verantwortlichen Politiker wärt, würde ich euch jetzt sofort vertreiben. Und zwar mit der Mistgabel!“ Zehn Hektar Land würden in Bayern tagtäglich versiegelt, führt er an und redet sich in Rage. Was auf dem Grundstück der künftigen Justizvollzugsanstalt geschehe, sei „Raubbau an der Natur“. Wenn das so weiter gehe, werden unsere Enkel „am Beton lutschen müssen“, sagt der Erzürnte. Fruchtbarer Boden, der die Bevölkerung ernährt, würde vernichtet für staatliche Bauprojekte.

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250.000 Kubikmeter Erde, die Ladung von 10.000 Muldenkippern, wurde bewegt. Die Aufschüttungen im Vordergrund dienen als Zwischenlager. Das Material wird im Lärmschutzwall für die Autobahn verbaut. (Foto: Francois Weinert)

Seit Anfang der 200er Jahre haben Freistaat und Stadt Passau eine Lösung gesucht. Das Gefängnis in der Theresienstraße, eine Einkaufsstraße mitten im Stadtgebiet, wollte keiner als Dauerzustand haben. Das historische Gebäude, ein früherer fürstbischöflicher Reitstall, war 1856 zum Gefängnis umgebaut worden. Die Zellen sind ausgelegt für 74 Häftlinge. Es gab Zeiten, da mussten mehr als 100 Gefangene untergebracht werden. Das Stadtgefängnis war also nicht nur unerwünscht, es wurde zu klein. Für den Umzug der Anstalt an den Stadtrand hat der Freistaat vor 20 Jahren das erste Grundstück an der Königschaldinger Straße erworben. 2010 fiel der Stadtratsbeschluss für den Gefängnisneubau im Stadtwesten. Es sollte für 300 Insassen ausgelegt sein. Das Jahr 2015 sollte die Lage verändern. Die Politik war getrieben von der Flüchtlingskrise.Nähe ein Gefängnis gebaut werde, habe er ausder Zeitung erfahren.

Das CSU-Kabinett entschied 2016 in einer fünftägigen Klausur in Sankt Quirin, in dem Passauer Neubau Straf- und Abschiebehaft im Neubau zu vereinen. Im Sommer 2018 stellten der damalige Justizminister Winfried Bausback zusammen mit OB Jürgen Dupper, JVA-Leiter Hans Amannsberger, Landrat Kneidinger und CSU-Landtagsabgeordneten Gerhard Waschler und Hans Ritt den Bauplan für die erste Kombihaftanstalt Deutschlands vor. Es kamen neuen Zahlen und Fakten ins Spiel: Bausback nannte eine Kapazität von knapp 450 Häftlingen, der Großteil, so berichtete damals der Bayerische Rundfunk, sei für Abschiebehäftlinge gedacht. In vier Jahren sollte das neue Gefängnis fertig sein. Diese JVA sei sehr wichtig, sagte Bausback, weil sie in einzigartiger Kombination Abschiebe- und Strafhäftlinge aufnehmen könne und das Trennungsgebot beachte. Abschiebehäftlingen haben im Gegensatz zu Strafgefangenen Freiheitsrechte: Sie dürfen nicht in ihre Zellen eingesperrt werden, können sich austauschen und selbstständig Kochen, wie Dienstleiter Oliver Deisinger vom Passauer Gefängnis erklärt.

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Im Frühjahr präsentierten sie den Bauplan (v.l.): Staatlicher Baudirektor Norbert Sterl, Hochbauleiter Gerald Escherich, Projektleiter Matthias Kinateder und Gefängnisdirektor Hans Amannsberger.
Die CSU, so interpretierte es die PNP, könne sich mit dem Bau als „harter Hund“ bezüglich Flüchtlings- und Sicherheitspolitik profilieren. Wurde bei der Planung übers Ziel hinausgeschossen? Ist der Bedarf für dieses Megagefängnis gegeben? Die Anfrage bei der Pressestelle des Justizministeriums ergibt: Im August 2022 werden in Bayern 125 Menschen als Abschiebehäftlinge geführt. An dieser Stelle sei angefügt, dass es in Bayern 36 Gefängnisse gibt, sortiert nach der Größe fiele der Passauer Neubau auf Platz 13. Beim derzeitigen Stand könnte das Gefängnis Königschalding also die Abschiebehäftlinge aus dem ganzen Freistaat unterbringen. „Wenn es überhaupt noch Abschiebegefangene gibt, bis die neue Anstalt ans Netzt geht“, sagt Deisinger. Schließlich könne man nicht wissen, was die nächsten Jahre passiert, die Zahl der Abschiebehäftlinge sei in den letzten Jahren gesunken.

Die Chronik, die uns das Justizministerium zur Zahl der Abschiebehäftlinge übermittelt, überrascht: Der Höchststand ist mit 131 im Jahr 2010 erreicht worden, fünf Jahre vor der Flüchtlingskrise. Das Ministerium erfasst die Häftlingszahlen jeweils zum Stichtag 31. März. 2016 waren 32 Abschiebehäftlinge, 2017 waren es 50. Wie sind die bayerischen Gefängnisse aktuell ausgelastet? Von über 12.000 Plätzen sind derzeit rund 9.100 belegt, teilt das Ministerium mit. Knapp ein Viertel der Zellen sind demnach frei. Der Passauer JVA-Dienstleiter bestätigt: „Die Zeiten der Maximalbelegung sind vorbei.“ Dennoch: Von den 450 Haftplätzen in Königschalding sind 100 für Abschiebung und 350 für Strafgefangene konzipiert, für Letztgenannte viermal so viel Platz wie in der Theresienstraße. Der Passauer Grünen-Stadtrat Karl Synek hat seit jeher gegen ein Gefängnis dieser Größe gestimmt. „Wir Grünen haben sowieso ein Problem mit Abschiebehaft“, sagt er am Telefon. Der Bau eines neuen Gefängnisses sei nie eine „positive Meldung“. Der Bayerische Flüchtlingsrat nannte nach dem CSU-Beschluss von 2016 das Gefängnis „Klein-Guantanamo in Passau“ .

Wie man am Beispiel der Abschiebehaft in Hof sehen könne, seien die meisten Insassen Asylbewerber, schreibt uns Stephan Dünnwald. Er kritisiert, dass den Menschen in Abschiebehaft verwehrt werde, sich zu informieren oder Rechtsberatung zu erhalten. „Es wurden Plakate gespannt: ‚Kein Gefängnis am Rittsteiger Wald!‘“, erinnert sich ein Rittsteiger Rentner, der sein halbes Leben hier verbracht hat. Von dem Plan, dass in unmittelbarer Nähe ein Gefängnis gebaut werde, habe er aus der Zeitung erfahren. Sie gründeten eine Bürgerinitiative, sammelten Unterschriften. „Über 2.000 kamen zusammen“, berichtet seine Frau. Genützt habe es nichts. Als sie die Unterschriftenliste im Rathaus übergaben, erhielten sie die Auskunft, der Neubau sei bereits unter Dach und Fach. Er habe damals überlegt, eine Normenkontrollklage einzureichen. „Aber das kostet gleich 4.000 Euro und hätte auch nichts genützt“, sagt er. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Es gibt offenbar gute Gründe. Ein Familienmitglied hat sich seinerzeit in der Heimatzeitung negativ über die Baustelle ausgelassen. Dass daraufhin einem Familienangehörigen ein Bauantrag abgelehnt worden sei, sehe man als Retourkutsche.

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Wo früher Wiese war, türmt sich ein Erdwall: Zu den geplagten Anwohner an der Königschaldinger Straße gehören Christine Grede und Tochter Lara. (Foto: Francois Weinert)
Ein Betonmischer mit blau-weißer Trommel dröhnt vorbei und wirbelt Staub auf. Die meisten Lastwagenfahrer würden sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten, erzählen Anwohnern. Im nördlichen Teil der Königschaldinger Straße hat der Erdaushub am Lagerplatz eine künstliche, fünf Meter hohe Böschung gebildet, die den Blick ins Donautal verwehrt. Er soll den Anwohnern als Lärmschutz dienen. „Der Wall ist ein Witz“, sagt ein Nachbar von Gegenüber. Er sucht für den Reporter ein Bild an seinem Mobiltelefon heraus. Es zeigt seinen Garten verschleiert, als tobte dort ein Saharasturm. „So sieht es aus, wenn bei trockenem Wetter der Wind über den Erdwall fegt“, erklärt er. Von der enormen Staubbelastung erzählt uns auch Lara Grede. „Du siehst manchmal die eigene Hand nicht mehr vor Augen“, beschreibt sie. Sie könne die Wäsche nicht mehr zum Trocknen aufhängen oder die Fenster zum Lüften öffnen. Der Wind blase den Staub bis in die Wohnung, berichtet die blonde junge Frau. Ihr Obstgarten mit dem Apfelbaum liegt jetzt direkt gegenüber von dem aufgeschütteten Erdwall. „Als sie die Wiese platt gemacht haben, bin ich dagestanden und habe geheult“, sagt sie. Sie ist auf dieser Wiese oft spazieren gegangen, wo Glockenblumen und Fliegenpilze wuchsen. Vor zwei Jahren ist sie mit ihrer Mutter Christine, eine Tierpflegerin, hierher gezogen. Die beiden Frauen sind in der Gegend als Naturliebhaber und Vogelschützer bekannt. Sie päppeln verletzte Wildvögel auf. „Weil ich keine Genehmigung für meine tierheimähnliche Einrichtung habe, soll ich 700 Euro an Strafe zahlen“, mischt sich die Mutter ins Gespräch ein. Sie blickt über den Zaun. „Retten und Pflegen ist verboten, Zerstören ist erlaubt“, sagt sie resigniert.

In diesem Frühjahr rückten die Arbeiter mit Rüttelmaschinen heran, um die Fläche gegenüber einzuebnen. Das Gehege mit den Damhirschen musste weichen und der Lärm bedeutete für die Tiere Stress. „Bei uns sind Fasane durch den Garten gelaufen, die Jungen hinterher“, erzählt Lara. Auch Kiebitze und Feldhasen seien über ihr Grundstück geflohen. Die Mutter berichtet, dass sie den Fahrer einer Bauwalze gebeten habe, anzuhalten, weil noch Kiebitzjunge in der Wiese lägen. „Ich mache, was ich will“, soll dieser geantwortet haben. Der Großteil des Baugrunds gehörte einst dem Hefefabrikanten Niels Kampmann, welcher im September vergangenen Jahres im Alter von 95 Jahren verstorben ist. Es ist die Rede, dass der Verkauf ihm eine zweistellige Millionensumme eingebracht habe. 2019 kaufte der Freistaat weitere 9.500 Quadratmeter hinzu. Die Verantwortlichen, auch wenn sie dies nie offiziell zugegeben, hatten vergessen genügend Parkplätze einzu-planen. Für 300 Beschäftigte im Schichtdienst und den Besucherverkehr für hunderte Häft-linge sind nachträglich 155 Stellplätze ausge- wiesen worden. Abermals muss eine Fläche, eineinhalb mal so groß wie de Domplatz, versiegelt werden. Bagger rückten an, um einen Bauernhof abzureißen.„Es war ein Vorschlag von unserer Seite, dass man ein Parkhaus baut“, sagt Grünen-Stadtrat Synek. Es sei ein Wahnsinn in der heutigen Zeit, so große Fläche zu versiegeln. Sein ÖDP-Kollege Urban Mangold brachte ein Tiefgarage ins Gespräch. Doch beide Ideen wurden aus Sicherheitsbedenken verworfen. Vom obersten Parkdeck könnten Kriminelle Drogen oder Waffen über die Gefängnismauer werfen oder die Anlage ausspionieren. In einer Tiefgarage müsste rund um die Uhr überwacht werden, um beispielsweise Brandanschläge zu verhindern. „Passauer dürfen nicht durch Gefährder gefährdet werden“, sagte OB Dupper 2017, als diskutiert wurde, ob auch politische oder religiös motivierte Terroristen im neuen Gefängnis untergebracht werden. „Welche Art von Inhaftierten wir da bekommen, kann ich selbst heute noch nicht sagen“,antwortet der Passauer JVA-Dienstleiter Deisinger auf Anfrage. Er verweist auf den Vollstreckungsplan für den Freistaat Bayern. Der aktuellste stammt vom Oktober 2021. Hier ist das Passauer Stadtgefängnis vorgesehen für die Unterbringung von Untersuchungshäftling, von Erstverurteilten bis zu zwei Jahre Haft und für Wiederholungstäter maximal drei Monate.

Unbesorgt zeigt sich eine betagte Anwohnerin, die südlich der künftigen Gefängnismauern wohnt. „Wenn wirklich einer ausbricht, dann sucht er das Weite und kommt nicht ins nächste Haus, um sich vor der Polizei zu verstecken. Da müsste er dümmer sein als erlaubt.“ Das Gefängnis am Waldesrand wird zum Geldgrab. Damit der Mitterbruchbach im Waldgebiet dahinter bei Starkregen nicht verschlammt und geflutet wird, ist extra für die Bauphase ein unterirdisches Wasserrückhaltebecken angelegt worden. Bei der Grundsteinlegung wird bekannt werden, das die ursprünglich geplanten 80 Millionen Euro längst nicht mehr ausreichen. 2017 wurde von 116 Millionen Euro geschrieben, 2019 genehmigte die Landesregierung mehr als 184 Millionen Euro. Inflation und Risikokosten seien nicht miteingerechnet, so Justizpressereferent Michael Bieber. Er ergänzt: „Wegen der jüngsten Entwicklungen muss mit konjunkturbedingten Mehrkosten, die sich derzeit nicht belastbar beziffern lassen, gerechnet werden.“

red

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