Nachrichten | Dienstag, 11. Februar 25
Abschiebewelle erfasst ArbeitswilligeDas Redaktionstelefon leitet auch am Wochenende Anrufe auf das private Mobiltelefon weiter. Die Nummer auf dem Display ist unbekannt. Der Reporter ignoriert sie. Zu viele andere Themen liegen auf dem Tisch: ein Antrag in einer Insolvenzsache, ein Streit um eine Handwerkerrechnung, Abo-Bestellungen, Lokalpolitik – der Innsteg, eine Ratssitzung. Doch die Nummer erscheint wieder. Und wieder. Am Samstag, am Sonntag. Es muss dringend sein. Der Reporter ruft zurück. Am anderen Ende meldet sich ein Mann. Seine Stimme ist leise, unsicher, verzweifelt. Er spricht gutes Deutsch, doch seine Aufgewühltheit erschwert eine klare Schilderung. Nach wenigen Sätzen übernimmt ein jüngerer Begleiter das Gespräch. Er spricht ruhig, sachlich, erklärt die Lage. Im Briefkasten des 53-jährigen Busfahrers lag am Samstag ein Schreiben, das kaum jemand nachempfinden kann, der es nicht selbst erhalten hat: eine Abschiebungsanordnung. Bis 28. Februar soll er das Land verlassen. Der Bescheid trägt die Unterschrift der Passauer Ausländerbehörde. Seit sechs Jahren fährt der Mann Bus für einen Reiseunternehmer aus dem Landkreis Passau. Vor 24 Jahren kam er aus dem Irak nach Deutschland. Geduldet – bis heute. So berichtet er es. Er arbeitet, zahlt Steuern. „Warum muss ich gehen?“ Sein Begleiter, ein Palästinenser, hat inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft. Seine Schwester, die in der Pflege arbeitet, musste sechs Jahre darauf warten. „Ich hatte Glück“, sagt er. Sein Bekannter offenbar nicht. Konservative Politiker betonen den Wert von Leistung. „Leistung muss sich lohnen“, heißt es oft. Doch in diesem Fall scheint das Gegenteil zu gelten. Wer sich in Deutschland integriert, arbeitet und Steuern zahlt, sollte bleiben dürfen. Doch bestimmte Parteien setzen im Wahlkampf nicht auf Integration, sondern auf Abschiebung – oft ohne Rücksicht darauf, ob jemand längst Teil der Gesellschaft ist. Der Busunternehmer, ein CSU-Politiker, beschäftigt rund 200 Busfahrer, darunter viele Geflüchtete. Von der Abschiebung seines Mitarbeiters habe er noch nichts erfahren, sagt er am Telefon. Er wisse aber, welche Stellen einzuschalten seien, um ihm zu helfen. Ob es so einfach geht? Der Rechtsweg ist kompliziert. Anwälte und Verwaltungsgerichte sind involviert. Der Prozess kann Jahre dauern und zehrt an den Betroffenen. "Wir haben bis heute kein vernünftiges Einwanderungsgesetz", kritisiert der Unternehmer. Natürlich gibt es Menschen, die sich nicht integrieren oder keine Motivation zeigen. Dass sie abgeschoben werden, mag konsequent sein. Auch Straftäter werden abgeschoben. Doch oft lohnt es sich, genauer hinzusehen: Nicht selten werden Verstöße, die aus der Einwanderungssituation selbst resultieren, als Straftaten gewertet. Ein Beispiel: Ein arbeitswilliger Asylbewerber erhielt ein Dokument aus seinem Herkunftsland, das ein Kriminalbeamter als Fälschung einstufte. Der Vorwurf: Urkundenfälschung. Eine Straftat auf dem Papier – ebenso wie wiederholte illegale Grenzübertritte. Doch sollten solche Verstöße auf eine Stufe gestellt werden mit Gewalt- oder schweren Kriminaldelikten? „Wir haben die Abschiebungen um 70 Prozent gesteigert“, erklärte Olaf Scholz im Kanzlerduell auf ARD und ZDF. „Ich habe dafür gesorgt, dass mehr Menschen in Abschiebehaft genommen werden können.“ Er betonte, alle „Tricks“ per Gesetz abgeschafft zu haben. Nun könne es überall losgehen. Gehört der Abschiebebescheid im Passauer Briefkasten zu dieser neuen Praxis? Die Verschärfung der Migrationspolitik gehört zur Wahlkampfstrategie bestimmter Parteien. Sie verspricht Stimmengewinne. Doch geändert hat sich in den vergangenen zehn Jahren wenig – außer, dass es immer wieder die Falschen trifft. Die psychisch kranken Täter von Magdeburg und Aschaffenburg und das Leid ihrer Opfer werden instrumentalisiert. Die Menschenwürde und -rechte geraten ins Hintertreffen. Kaum jemand spricht aus, welche Stimmung erzeugt wird: Sippenhaftung. Ein besonders eindrücklicher Fall in der Redaktion: Ein junger Mann aus Sierra Leone begann in Deutschland eine Ausbildung. Mit der Volljährigkeit fiel er in die Duldungsschleife – bis zur Dunkelzelle im Abschiebegefängnis. Üblicherweise konfrontiert die Redaktion in solchen Fällen die Bezirksregierung oder Justizbehörden. Schon die Anfragen machen Betroffene sichtbar und erzeugen Wirkung – oft, bevor überhaupt ein Artikel erscheint. So auch in diesem Fall: Der junge Mann darf seine Ausbildung fortsetzen. Seine Geschichte wird in der nächsten Ausgabe erzählt. Immer wieder hat das Magazin solche Schicksale aufgegriffen. Doch sie erzielen nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie andere Themen. Angesichts des rauer werdenden Tons gegenüber Asylsuchenden und Zugewanderten entschied die Redaktion, die Veröffentlichung zu verschieben – um den Betroffenen zunächst in Sicherheit zu wissen. Erst dann sollte seine Geschichte erzählt werden. Manchmal genügt es, dass Journalisten hinschauen. Dass Arbeitgeber, Nachbarn, Freunde nicht schweigen. Migration dominiert den Wahlkampf – und schadet dem Land mehr, als er nützt. Die Kampagnen von Merz, Söder und Co. setzen um, was Weidel und Co. fordern. Sie predigen Freiheit, ignorieren aber deren Grundlagen: Einigkeit, Recht, Gleichheit, Brüderlichkeit. Genau diese Werte werden durch den Rechtsruck missachtet. Die Folgen? Mehr Verzweiflung, mehr Unrecht. Und paradoxerweise: Eingebürgerte Migranten, die AfD wählen. Eine Dokumentation zeigte kürzlich, dass viele Zugewanderte ausgerechnet jene Partei unterstützen, die ihre Schicksalsgenossen am stärksten bedroht. Warum? Weil Egoismus keine Herkunft kennt. Er beginnt im Individuum – und frisst sich durch Gesellschaften und Nationen.
hud
Unabhängiger Journalismus ist abhängig von zahlenden Lesenden
Hinweis fürs Finanzamt: Zahlungseingänge werden wie Abozahlungen verbucht. Bürgerblick als gemeinnützige Gesellschaft zu etablieren ist in Arbeit. |
10:47
Thursday
13. February 2025
PRIVATE PLATTFORMEN13.02. | Thursday SCHARFRICHTERHAUS Wienerlied-Revue ![]() Martin Spengler & die foischn Wiener präsentieren ihr Programm "Bis vü leichta". Das Ensemble verbindet Wienerlieder mit modernen Einflüssen und poetischen Texten - sie loten die Leichtigkeit des Lebens musikalisch aus. 20:00 Uhr | ab 28,50 Euro ZAUBERBERG Comedy für Freunde Die älteste Stand-up-Show Münchens gastiert erneut in Passau. „Comedy für Freunde“ bringt eine Handvoll Komiker aus dem deutschsprachigen Raum auf die Bühne. Unterhaltung nach US-amerikanischem Vorbild. 20:00 Uhr | ab 16,99 Euro
|